„Kannst du das Panel moderieren“, fragt mich Virginie, und ich sage „ja, gerne“, vor allem weil es Virginie ist, die fragt. Ich plane nicht, sondern verlasse mich darauf, dass es schon werden wird.
Außerdem interessiert mich das Thema und wie es besprochen werden soll. „Klimawandel und Migration – deine Geschichten, deine Perspektiven“. Nord-Süd-Konflikt und Klimawandel und was das für Menschen aus dem globalen Süden bedeutet, so übersetze ich mir das. Nicht akademisch, nicht analytisch, sondern mit Gefühl, die Erfahrung und Betroffenheit der Einzelnen als Thema, zuhören und mitfühlen, statt überzeugen und besser wissen. Es war Virginie´s Idee, der Frau des Jahres 2023 in Bremen, vom afrikanischen Netzwerk.
Gerechtigkeit. Miteinander. Rücksichtnahme. Grundlage für erfolgreiche Politik? Dimensionen einer Gesellschaft, die sich die französische Revolution schon erhoffte. Liberte, Fraternite, Egalite.
Als ich ankomme, mit nasser Hose, der Regen hatte mich überrascht, empfängt mich Özden, die sich selbst als Türkin-Polin-Deutsche bezeichnet. Kappe über den wilden Locken. Sie lacht und sagt „cooles Outfit“, „Cord, hm, gut“, sie meint meine senfgelbe Jeansjacke, „blaue Mütze, ich mag deinen Stil“. Außerdem tanzt und lacht sie die ganze Zeit. Was für ein Empfang. Virginie umarme ich, sie freut sich, dass ich da bin. Lucy aus Kenia gebe ich die Hand. Elegant gekleidet beide, aufmerksam bis ins Detail, aufrecht. Schöne Farben, bunt, lebensfroh. Stake Frauen.
Dann setze ich mich auf einen der Klappstühle in dem kleinen Glaspavillon. Ich will nicht in den Vordergrund, es geht nicht um mich. Ich bin Gast und Freund, Betroffener bin ich nicht. Sara, die junge Deutsche, schlank mit kurzen schwarzen Haaren, sie hat die Veranstaltung mit Virginie vorbereitet, begrüßt.
Drei junge Frauen singen, alle schwarz, eine Nachwuchsband, „Young Diamondz“, die einige Preise gewonnen hat. 15 Jahre, nicht älter, stark, klarer Blick, mutig. Sie singen von ihrem Traum der Leichtigkeit, und der Schwere, der Unfreundlichkeit.
David aus Kamerun und Ismael aus Guinea sollen berichten – von sich. Schnee und Kälte. Eine erste Erfahrung in Deutschland. Ismael eher leise, traurig, David, den großen Vorwurf wiederholend. Eine Ausbeutung, die nicht aufhört. Zerstörung der Natur durch die Ökonomie des Nordens.
Virginie bittet die Mädchen, noch etwas zu sagen. Sie sind hier aufgewachsen. Für sie spricht Davina, mit dem Mikro in der Hand, grade auf ihrem Stuhl, von den rassistischen Kommentaren in den sozialen Medien, als sie – noch so jung – zu den Demos der Fridays for Future aufriefen. Ich spüre den Schmerz, der ihnen zugefügt wurde. Den Zorn – über das Ausgeliefertsein.
Nun soll das Panel kommen. Kleine Manöver mit den Stühlen und dem Mikrophon. Dann haben wir uns versammelt. Fragen hat mir Virginie nicht gegeben. Afrika – auch in Bremen – funktioniert eben anders. Schneller, spontaner, lockerer.
Fragen habe ich mir überlegt, während Ismael und David erzählten. Fragen, die klären sollen, was die drei Panellisten erlebt haben, sie als Personen, was sie fühlen, wie sich in ihrer Welt Migration und Klimawandel abbilden. Lucy aus Kenia, Damilola aus Nigeria, beide promovieren an der Uni, und Deniz aus der Türkei, der als Lehrer arbeitet und die Mädchen unterstützt. Ich frage, wie sie sich ihre Welt, ihre Wirklichkeit in fünf Jahren, fünf Jahren weiteren Klimawandels vorstellen. Politisch korrekte Antworten. Mit dieser Art Neugier hatten sie nicht gerechnet. „Tough questions – in the end an awesome conversation“, wie Lucy in paar Tage später sagt.
Auf die Frage, was sie am meisten an Deutschland stört, sagt Damilola, dass er die Frage erst beantworten wird, wenn er seine Aufenthaltsberechtigung hat. Sein Ernst? Offenkundig.
Lucy erzählt, auf die Frage nach den Auswirkungen bei sich zu Hause, dass das Meer den Frauen die Orte wegnehme, das sie die Orte verlieren, wo sie an Touristen Sachen verkaufen. Sie sagt, das sei schlimm, es gehe aber nicht nur um den Verlust der ökonomischen Grundlagen. Der Klimawandel beeinträchtige auch die kulturelle Identität. Tote könnten nicht mehr in den Friedhöfen begraben werden, weil diese überflutet seien. „Wir müssen die Toten wegwerfen, aus unserem Herz reißen.“ Ihre Augen weinen, ohne das Tränen fließen.
Was wir Deutschen von afrikanischen Gesellschaften lernen könnten, um zu mehr Klimaschutz hier zu kommen? Eine meiner letzten Fragen: Mehr Gemeinsinn, mehr wir, weniger ich. So Lucy. „Da wo ich herkomme, halten wir zusammen.“ Mehr „community based actions“, sagt Damilola auf Englisch, seine Antwort übersetze ich. Also, Lösungen für alle, statt Lösungen für den Einzelnen, was trennt und deshalb weitere Probleme schafft. Er nennt als Beispiel Mobilität für alle.
Deniz schimpft. Seine Wut und Empörung sind spürbar. Über den lauten Rassismus und auch über die Ignoranz und das Wegsehen, das zu beschäftigt sein mit anderem. Trotz großer Bemühungen sind heute nur wenige Deutsche gekommen, um die Geschichten und Perspektiven der Migrantinnen zu hören.
Davina, eine der Sängerinnen, mit den langen schwarzen Locken, hatte gesagt, Träume dürfe man nicht aufgeben. Die Band hatte dem einen Song gewidmet. Man müsse an seinen, an ihren Träumen festhalten. Es wäre schön, wenn sie auch vor großen Hallen oder etwa in der Bürgerschaft singen würden. Denke ich. Vielleicht würden ihr leiser Schmerz und die große Hoffnung auf Miteinander und Geborgenheit dort auch gehört.
Und: Es wäre schön, wenn mehr Deutsche heute hier wären. Sich begegnen, zuhören, verstehen wollen, wäre ein wichtiger Schritt. Nicht kommen heißt nicht verstehen, heißt, sich nicht einlassen, heißt, sich nicht die Zeit nehmen. Eine verpasste Chance. Denke ich.
Danach gibt es Essen – afrikanisch, sehr lecker, von Margerite aus Kamerun wie Virginie, Mutter von vier Kindern, mit einem Bauernhof in Huchting. Sie lacht immer. Ich schaue in die Runde. Es ist freundlich. Ich darf dabei sein. Özden stößt mit mir an. Gleich boxt sie mich, so fröhlich und ausgelassen ist sie.
Fast familiär, denke ich, obwohl doch aus so vielen Ländern und Kontinenten. Dann leert sich nach und nach der Raum.
Auf dem Nachhauseweg fällt mir ein, dass ich mir davon gerne eine Scheibe abschneiden möchte. Was schön wäre, weil leichter und geborgener. Und fröhlicher.
Gut für mich, dass ich Virginie´s Frage mit „ja“ beantwortet habe.